Ich muss zur Post. In der Agnesstrasse, was gleich bei mir um die Ecke ist. In meinem Briefkasten war heute ein kleiner rosa Zettel, der mir mitteilt, dass ein Packet nicht ausgeliefert werden konnte. Weil niemand da war. Ich hege ja den leisen Verdacht, dass der Postbote provisorisch immer einen Zettel bei mir rein wirft und gar nicht versucht ob ich da bin, weil ich nämlich im fünften Stock ohne Lift wohne und er dann ganz nach oben kommen müsste. Gestern war ich bereits einmal in der Agnesstraße. Beim großen Postamt. Aber es hatte zu. An der Tür hing ein Zettel, der die Kunden um Verständnis bat: Betriebsfeier.
Also wandere ich heute wieder zur Post. Eine lange Schlange steht bereits an. Nur zwei Schalter sind geöffnet und weil die Post gleichzeitig die Postbank ist, geht es nur sehr langsam vorwärts. Eine blonde Frau, die direkt vor mit steht, ärgert sich. Sie hat kleine Schüppchen hinter den Nasenflügeln. Ungepflegt schaut sie aus. Aber eigentlich nett. Sie schimpft, dass nur zwei Schalter geöffnet sind. Dabei stehen mittlerweile sicher 20 Menschen an. Was ist denn das für ein Service! Hinter mir sind bereits fünf neue Kunden hereingekommen. Geduldig stellen sie sich hinten in der Reihe an.
Die Frau, die vor der blonden steht, äußert ebenfalls ihren Unmut. Gestern geschlossen, heute das! Sie hat sehr schönes, rostrotes Haar, das ihr weiches Gesicht schön umrahmt. Ihre Augen sind braun und sehen eigentlich sehr friedlich aus. Auch während sie murrt. Mich lächelt sie dann an und zuckt mit den Schultern. Ich lächle zurück. Man kann ja nichts machen. Ich will mir meine gute Laune vom Warten nicht verderben lassen und beobachte die Leute. Vorne am Schalter steht ein Mensch, bei dem ich mir im ersten Moment nicht sicher bin, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Dann schaut sie in unsere Richtung – eine Frau. Ungeduldig trommelt sie mit ihren Fingern auf den Tresen. Sie hat eine eigenartige Hautfarbe, Rötlich – braun – so, als habe sie zu viel Selbstbräuner benutzt.
Der Postbeamte, ein junger Mann, dem Schweißperlen auf der Oberlippe stehen, kann ihr Paket nicht finden. Sie hat ebenso ein rosa Kärtchen in der Hand, wie ich es gestern in meinem Briefkasten gefunden habe. Nervös erklärt der junge Beamte der Kundin, dass er das Päckchen nicht finden kann. Gestern war Betriebsfeier. Alles ist etwas in Unordnung. Könnte aber auch am Paket-Service liegen. Er weiß es wirklich nicht. Entschuldigt sich unterwürfig und fügt hinzu, dass er ja nun wirklich nichts dafür kann. Sie soll es morgen wieder versuchen. Nein, versprechen kann er nichts. Mit einem sehr mürrischen Gesichtsausdruck und deutlich missbilligend den Kopf schüttelnd, verlässt die männlich aussehende Frau das Gebäude.
Ich hin vorgerückt und stehe jetzt neben einem Kartenständer. Lauter Weihnachtskarten. Es ist der 14. November. Ich finde das zu früh für Weihnachtsschmuck, Weihnachtskarten etc. Aber überall wird bereits das Glitzerzeug ausgepackt und in die Schaufenster geräumt. Schokoladen Nikoläuse lächeln einen verführerisch neben jeder Ladentheke an. Ich wippe ein bisschen auf und ab und summe ein Lied, während ich die Postkarten durchblättere. Am liebsten habe ich ja die, die Musik machen, wenn man sie aufklappt. Zu meinem neunten Geburtstag hat meine Patentante mir so eine Karte geschickt – eine richtig große im DA4-Format. Es waren lauter kleine blaue Männer in Uniform darin abgebildet mit Trompeten und die Karte spielte Happy-Birthday. Das fand ich damals das Allergrößte!!! Ich habe die Karte glaube ich heute noch, auch wenn sie natürlich schon längst nicht mehr spielt. Während ich mir überlege ob ich wiederum meinem Patensohn eine solche Karte schicken soll, kommt eine alte Dame am Stock zur Tür rein.
Jedes Mal, wenn die Schiebetüren sich öffnen, kommt ein kalter Luftzug herein. Die alte Dame ignoriert die Schlange und geht einfach nach vorne. Ich finde das nicht so schlimm. Schließlich kann sie bestimmt nicht lange stehen...man sieht ja wie alt sie ist und dass sie nicht gut zu Fuß zu sein scheint. Aber ein junger Mann mit Kopfhörer im Ohr aus denen rhythmische, laute Töne zu vernehmen sind, fährt die Alte an – jeder müsse doch anstehen. Er warte schon eine halbe Stunde. Kein Respekt vor dem Alter. Langsam schlurft die alte Frau zurück an das Ende der Schlange.
Jetzt bin ich vorne. In der Schlange stehen mittlerweile über 30 Leute. Die meisten schauen schlecht gelaunt. Die Rostrothaarige bespricht am Nebenschalter intensiv etwas mit dem jungen Beamten. Der schwitzt immer mehr. Er tut mir leid. Ich reiche mein rosa Kärtchen der Dame hinter Schalter 4. Sie schaut aus wie eine graue Maus. Sobald man in einen andere Richtung blickt, hat man vergessen, wie sie aussieht. Sie verschwindet hinten in einem großen Raum und holt mein Päckchen. Ich kann sehen, dass sich dort viele Päckchen stapeln. Ungeordnet. Klar – gestern war ja Betriebsfeier. Ich habe offensichtlich Glück. Mein Päckchen ist da. Die Maus lächelt mich an und will noch meinen Ausweis sehen. Dann nehme ich mein Packet in empfang. Es ist groß, aber nicht schwer. Ich weiß was drin ist. Raffaellos. Ganz viele. Wieder wippe ich ein bisschen auf den Fersen. Ich habe eine Wette gewonnen. Jetzt halte ich meinen Wettgewinn in den Händen. Ich nehme das Packet unter den Arm und verlasse gut gelaunt die Post.