Sonntag, 29. November 2009

Lesung
Das unvermeidliche Lampenfieber beginnt sich bereits in meiner Magengegend zu sammeln. Ich betrete das Buchgeschäft und begrüße den Inhaber. Er hat seine langen schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und einen festen Händedruck. Zum Glück führt er mich gleich durch die sich ansammelnden Menschen zu einem kleinen Raum hinten im Geschäft, wo ich erstmal aufs Klo sausen kann. Mein Magen spielt jedes Mal vor einer Lesung verrückt. Meine Finger sind kalt und ich weiß nicht so recht wohin mit mir. Dabei habe ich es schon eindutzend Mal gemacht. Der Raum füllt sich mit Menschen. Menschen, die mir zuhören wollen. Menschen, die der Buchtitel angesprochen hat und die jetzt die junge Autorin life erleben wollen. Viele, viele Augenpaare, die gleich jede meiner Bewegungen beobachten werden. Viele, viele paar Ohren, die jedes Wort, jedes räuspern, jedes Atemholen aufnehmen werden. Ich gehe erneut aufs Klo. Dann wende ich mich dem Besitzer zu und wir besprechen kurz das Prozedere. Er wird eine kurze Einführung machen, dann bin ich dran. Gut. Das kenne ich. Wir versuchen wie es mit dem Mikro am besten geht. Am Ende ist es doch immer das Hand Mikro im Ständer, weil das andere raschelt, rauscht oder quietscht. Ich konzentriere mich auf das Mikrofon, versuche nicht noch nervöser zu werden, weil es nicht funktioniert. Ein paar Mal sage ich sinnlos Hallo hinein, um den Ton zu testen. Es scheint zu funktionieren. Ich weiß jetzt schon, dass es mir den Blick aufs Buch leicht versperren wird. Aber was solls. Ist nicht zu ändern. Technik! Unter den Augenliedern betrachte ich mein Publikum. Viele ältere Menschen. Wenige Junge. Sogar ein paar Männer sind da. Das ist selten. Sie unterhalten sich. Manche mustern mich neugierig. Ich lächle einfach mal in die Runde und ziehe mich dann noch mal zurück in das Zimmerchen ganz hinten. Auf dem Weg hält mich eine Dame auf. Sie hat mein Buch in der Hand und will die Chance nutzen schon vor der Lesung eine Signatur zu bekommen. Ich nehme es entgegen, suche einen Kuli und schreibe etwas hinein. Ob es den Wert des Buches für die Leserin steigert, dass ich meinen Namen hinein geschrieben habe? Während ich schreibe, erzählt sie irgendwas. Sie hat es bereits gelesen. War ganz ergriffen, freut sich auf die Lesung. Damit kann ich immer noch nicht sehr gut umgehen. Ich lächle, bedanke mich und trete den Rückzug an. Schließlich rückt der Zeiger vor auf acht Uhr und wir können anfangen. Ich nutze die letzten Sekunden um noch mal aufs Klo zu huschen. Scheiß Nervosität. Dann setze ich mich hinter den Tisch, auf einen kleinen dreibeinigen Holzhocker. Ich kann mich auf ihm hin und her drehen und nehme mir vor, eben das nicht zu tun. Das spiegelt nur meine Unruhe wieder. Eine Lampe erleuchtet mein Skript und ich sehe die Menschen nicht wirklich, weil zwei Scheinwerfer mich anstrahlen. Sie sind direkt auf meinen Kopf gerichtet, damit man mich gut erkennen kann. Das mag ich nicht so gerne, denn dann muss ich mich auf mein Gehör verlassen. Um mitzubekommen wie die Reaktionen sind. Ich blicke auf und nicke Herrn Braun zu, der mich fragend ansieht. Ja. Ich bin fertig. Es kann losgehen. Herr Braun macht eine kurze Ansage, stellt sich vor, mich vor, übergibt mir das Wort. Alle klatschen. Warum klatschen sie? Ich habe noch nicht einmal begonnen. Um mir Mut zu machen? Ich wünschte sie würden nicht klatschen, aber es gehört wohl dazu. Ich räuspere mich und blicke dann auf. Ob mich jeder so hören kann, wenn ich so spreche, frage ich? Ich mustere die Schatten, die ich gegen das grelle Scheinwerferlicht wahrnehmen kann. Sicher verbergen sich nette Gesichter dahinter. Bevor ich beginne, ziehe ich noch meine Armreifen aus. Das mache ich immer, wenn ich mit Mikrofon lesen muss, weil sie beim gestikulieren so laut klappern. Warum ich sie immer wieder anziehe weiß ich selber nicht. Vielleicht beruhigt es mich ja sie auszuziehen und systematisch auf den Tisch zu legen. Rechts von mir. Jetzt bin ich bereit. Ich hole tief Luft und fange an. Erstmal stelle ich mich vor. Wer bin ich eigentlich? Wo komme ich her? Und wie ist es zu dem Buch gekommen? Langsam beruhigt sich meine Atmung. Dann beginne ich zu lesen. Jetzt bin ich ganz ruhig, ganz konzentriert. Ich höre meine Stimme, wie von ganz weit weg, als läse jemand anderes vor. Meine Hände werden wieder warm. Ich komme in Schwung. Und ich bin froh, wenn es vorüber ist.

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