Sonntag, 13. Dezember 2009

Messenmännlein
Um halb zwölf ist Studentenmesse in der Ludwigskirche. Eine sehr humane Zeit und wenn man selbst da noch zu spät kommt, dann kann man gleich weitergehen zur Kajetanerkirche. Da ist um 12 Uhr Messe. Allerdings nenne ich sie auch Staubmesse. Weil sie so trocken ist, dass man einen Hustenreiz bekommt. Zum Glück bin ich ein pünktlicher Mensch und kann meinen Hustensaft Zuhause lassen. Student bin ich nicht mehr, aber schließlich darf jeder zur Studentenmessen kommen. Alt und jung. Die Gemeinde ist bunt gemischt. Als der Priester herein kommt, verstehe ich den Ausdruck gleich noch besser. Jung schaut er aus. Sehr jung. Eigentlich eher wie ein Abiturient, nicht älter als 18. Aber er ist schon Priester, also muss dieser Schein trügen. Und was er sagt hat Kraft und tut gut. Ich sitze in der dritten Reihe vorne. Vor mir in der Bank sitzen ein älteres Ehepaar und ein grauhaariger Mann, der eine kreisrunde Glatze hat. Gottes Einfallsreichtum was Haare angeht ist wirklich unermesslich.
Nach etwa 20 Minuten setzt sich ein Männlein in die erste Reihe. Ich sage Männlein, weil er nicht besonders groß ist und irgendwie was Rührendes an sich hat. Er trägt einen grauen Mantel und mit umständlichen Bewegungen streift er sich die Mütze vom Kopf und legt ordentlich den Schal und die Handschuhe auf die Kirchenbank. Noch ein bisschen nach rechts. Passt. Während der Chor prachtvoll singt, dreht das Männlein sich plötzlich um, sieht entschuldigend das Ehepaar an und sagt laut: „Tschuldigung – bin bissle zu spät dran...“
Das Ehepaar sieht ihn völlig entgeistert an und versucht mit andächtigem Blick nach vorne zum Altar zu blicken. Sie blicken einfach an ihm vorbei. Offensichtlich kennen sie das Männlein gar nicht. Es ist ihnen peinlich. Oder sie wissen nicht, wie sie mit einer solchen Situation umgehen sollen. Noch einmal dreht sich das Männlein um und sagt etwas, was ich diesmal aber nicht verstehen kann. Dabei deutet er auf sich, dann auf den Altar. Und er lacht. Ich lächle ihm zu. Seine Augen stehen ein ganz klein wenig schräg und sein rundes Gesicht ist durch und durch freundlich und gutherzig. Könnte ich seine Hände sehen, dann hätten sie eine Spalte auf der Handfläche. Er grinst mich mit diesen liebenswürdigen, blauen Augen an und konzentriert sich dann wieder nach vorne. Lange kann er sich offensichtlich nicht konzentrieren. Ich muss mir ein Lachen verkneifen, als er beginnt ziemlich geräuschvoll sein Kleingeld zu zählen. Ich kann ihm ansehen, dass er völlig darin versunken ist. Das klimpern macht ihm Freude. Als alles gezählt ist, steck er es sorgfältig in seine Hosentasche.
Das ältere Ehepaar sieht immer wieder zu ihm rüber. Zunehmend giftig. Verärgert. Er stört die Ruhe. Die Andacht. Die Sonntagsmesse. Sie tun mir leid. Sie können durch ihren Ärger gar nicht die Freude des Männleins erkennen. Und was für ein Sonnenstrahl er mit in die Kirche gebracht hat. Sein glückliches, völlig kindliches Gesicht. Die kurzen Momente, wo er seine Konzentration sammelt und voller Andacht zum Altar sieht. Inniges Gebet. Laut gemurmelt. Und dann wippelt er auf seiner Bank. Schaut sich immer wieder um. Lacht mich an und deutet immer wieder zum Altar und dann auf sich.
Als der Ministrant mit dem Körbchen rumkommt schmeißt das Männlein mit sichtlichem Entzücken sein ganzes, genau gezähltes Kleingeld hinein. Er kramt es bis zum letzten Cent umständlich aus seiner Hosentasche. Es klimpert. Er setzt sich wieder. Zum Geld einwerfen ist er nämlich vor Aufregung aufgesprungen. Als der Priester die Hostie hoch hält, dreht sich dass Männlein wieder um und deutet erst auf sich, dann nach vorne: „Das ist Jesus! Er ist mein Freund!“ Diesmal kann ich die Worte deutlich hören. Oder vielleicht spüre ich sie in meinem Inneren. Als die Kommunion ausgeteilt wird ist mein Männlein der erste am Altar. Er kniet sich nieder und betrachtet die Hostie lange, bevor er sie andächtig in den Mund schiebt. Dann geht er. Er geht einfach. Er kniet noch mal kurz nieder und wandert dann geschäftig um sich blickend aus der Kirche. Ich muss lächeln. Ja. Ich kann verstehen, warum Jesus sein Freund ist. Ich wäre auch gerne mit dem Männlein befreundet. Dem Sonnenschein.

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